Unter Führung von Kreisdenkmalspfleger Praußer besichtigte vor einigen Tagen eine stattliche Anzahl der im Kulturbund vereinigten Freunde Alt-Erfurts die wiederhergestellten Humanistenstätten "Zur Engelsburg" in der Allerheiligenstraße. Nunmehr ist ein altes Gebäude, in dem sich einstens ein gut Stück deutscher Geistesgeschichte abgespielt hat, endgültig dem Verfalle entrissen worden. In dem angrenzenden, nach der Marktstraße zu gelegenen Hause "Zum Roten Hirsch" wurde das Treppenhaus, das zugleich den Zugang zu dem eigentlichen Hause, dem Tagungsort der Humanisten, darstellt, neu und geschmackvoll hergerichtet. Das im 15. Jahrhundert auf den Fundamenten des 1125 erbauten Hospitals hinter Allerheiligen errichtete Haus war um 1510 im Besitz Heinrich Spaters, dessen Tochter sich mit Eobanus Hessus, dem gefeierten Dichterkönig und erklärten Liebling des Erfurter Humanistenkreises verheiratete. Im Jahre 1514 ging das Haus in den Besitz des bekannten Erfurter Arztes Dr. Georg Sturz über.
Reizvoll ist im oberen Stockwerk der durch die Anwesenheit erlauchter Geister geweihte Raum mit den prächtigen Deckenbildern. Die Tür zu diesem Raume stammt aus dem gegenüberliegenden Hause "Zur Windmühle". Sie zeigt feinste Intarsienarbeit, die jahrelang unter einem dicken Farbanstrich verborgen lag. Auch die anderen Räume atmen den Geist ihrer Zeit und sind vorzüglich für die geplante Einrichtung zu einer Humanistengedenkstätte geeignet. Von besonderem Interesse sind auch die aus der frühesten Entstehungszeit des Hospitals herrührenden, kryptenartigen Kellerräume mit ihren kräftigen Säulen und altertümlichen Gewölben.
Die "Engelsburg" ist aber nicht nur eine Erinnerungsstätte an die Erfurter Humanisten, sie ist auch mit dem Leben und Wirken des großen Reformators Dr. Martin Luther innig verknüpft. Als Luther im Jahre 1537 an einer Versammlung der protestantischen Stände in Schmalkalden teilnehmen wollte, erkrankte er schwer. Man ließ den Erfurter Arzt Dr. Sturz herbeirufen, der Luther über Tambach und Gotha zurückbegleitete. Am 4. und 5. März 1537 weilte der kranke Luther in Erfurt im Hause des Dr. Sturz in der Poetenherberge hinter Allerheiligen. So schriebt ein Zeitgenosse von Luthers damaligen Erfurter Aufenthalt: "Ist Lutter sehr krank gewest und nicht wohl reden konnen denn haischer; saint in Stortz Doktors Huße gelegen hinder Allerheiligen." Freilich war Luthers Aufenthalt nur von kurzer Dauer; weil der sächsische Kurfürst um Luthers Sicherheit Sorge trug, veranlaßte er seine sofortige Weiterreise.
Bei einer künftigen Ausgestaltung der Räume wird man also auch auf diesen Aufenthalt des Reformators in den Räumen der Engelsburg und das freundschaftliche Verhältnis zu Sturz, dem bekannten Arzte und Mäzen der Erfurter Humanisten, eingehen müssen.
S.O.
(Thüringer Tageblatt, 03.11.1953)