Welchem Erfurter ist wohl die Engelsburg, die Erfurter Humanistenstätte, in der Allerheiligenstraße nicht bekannt. Das Gebäude wurde vor 10 Jahren renoviert, blieb aber bis jetzt ungenutzt. So ist es sehr zu begrüßen, daß die angehenden Mediziner fleißig dabei sind, das Gebäude als Klubhaus einzurichten.
Schon im Mittelalter hatte dieser Gebäudekomplex etwas mit der Medizin zu tun. Vor fast 850 Jahren befand sich hier eines der ersten selbständigen Hospitäler Deutschlands, das Hospital S. Augustini (1117 bis 1222). Mit dieser Anlage ist sicher auch der Name Engelsburg in Verbindung zu bringen. Auch aus der Elendenherberge im Brühl, die auch sehr alt ist, aber urkundlich viel später genannt wird, machte der Volksmund eine "Engelsherberge".
Die Engelsburg war um 1500 im Besitz des gelehrten Mäzen Dr. med. Georg Sturz, Professor der Medizin und späterer Rektor der Universität Erfurt. Ein Haus des Gebäudekomplexes der Engelsburg stellte Sturz dem Erfurter Humanistenkreis als Versammlungsstätte zur Verfügung. Zu diesem Kreis gehörten unter anderem Ulrich von Hutten und der damalige Rektor der Universität Crotus Rabianus. Eobanus Hessus, ein kluger Gelehrter und formgewandter Dichter, war als "König" das Haupt der Versammlung. Die "königlichen" Sitzungen waren über Erfurts Grenzen hinaus bekannt und zogen viele Gäste an. Man besprach aktuelle politische Probleme, führte klassische Dramen auf und las aus eigenen Werken. Hier entstanden bedeutende humanistische Streitschriften. Der Erfurter Kreis stand auch in enger Beziehung mit den Verfassern der bekannten "Dunkelmännerbriefe".
Jetzt, etwa 450 Jahre später, sollen in diesem Hause, der sogenannten "Königsburg", wieder die Muse, die Diskussion über aktuelle Probleme und fröhliche Geselligkeit einziehen. Seit einigen Monaten herrscht hier geschäftiges Treiben. Der FDJ-Studentenklub der Medizinischen Akademie bemüht sich in enger Zusammenarbeit mit dem Prorektorat für Studentenangelegenheiten um die Wiedereinrichung des Gebäudes. Im Herbst haben Studenten im Keller ausgeschachtet. Viele Kubikmeter Erdreich und Schutt mußten aus den prächtigen Kellern, die noch aus der Zeit des Hospitalbaus stammen und von den Chorherren angelegt wurden, befördert werden. Die zum Teil übereinanderliegenden Kellerräume sollen nicht ungenutzt bleiben. Der größte Keller, an den sich auch die Sage knüpft, daß hier die Templer ihre Schätze vergraben haben sollen, soll für Tanzveranstaltungen ausgebaut werden. Um dies verwirklichen zu können, mußten im Hof viele Kubikmeter Erdreich abgetragen werden, um die Kellergewölbe gegen die von oben eindringende Feuchtigkeit zu isolieren. Die zum Teil verschütteten Luftschächte mußten erweitert werden, damit die Keller austrocknen können. Mehrere tausend Stunden wurden so schon von den Studenten geleistet. In der Perspektive soll hier im Hof eine Freilichtbühne entstehen.
Die "Königsburg", der man von außen nicht ansieht, wie viele Räume sie besitzt, wird völlig renoviert und erhält mehrere Klubräume. Das Erkerzimmer, der "Königssaal", wird als Empfangs- und Repräsentationsraum ausgestattet. Es ist eines der seltenen erhaltenen Bohlenzimmer, dessen Wände aus dicken übereinanderliegenden Bohlen bestehen. Daneben ist vorgesehen, einen Vortragsraum einzurichten. Den Studenten der Medizinischen Akademie wünschen wir viel Erfolg bei der Erhaltung und Nutzung dieser historischen Stätte.
H. St.
(Erfurter Wochenzeitung, 12.01.1966)