Den Geist und die Mauern der ''Engelsburg'' erhalten

Samstag, 9. Juni 1984

Ein Baumeister erinnert sich an die Humanistenstätte
Der erste Stadtbaumeister Erfurts nach dem zweiten Weltkrieg war der Baurat Reinhold Prauser. Er war zugleich auch der erste stv. Leiter für die Denkmalpflege im damaligen Lande Thüringen und einer der ersten, die vorausschauend ihre Verantwortung für die steinernen Zeugen unserer Geschichte erkannten. Viele Jahre auf dem Gebiet der Denkmalpflege tätig, hat er für Erfurt und das Umland der Stadt Impulse gegeben, die bis heute wirken. In diesem Beitrag erinnert er sich an die Erfurter Humanistenstätte "Zur Engelsburg", die eines der ersten Gebäude war, die eine denkmalpflegerische Behandlung erfuhren. Die Arbeiten daran sind zugleich ein Beleg für die Schwierigkeiten, unter denen die Anfangsjahre des Aufbaus in der DDR standen, sowie auch dafür, daß das damals begonnene Werk eine kontinuierliche Fortsetzung erfuhr und in gute Hände gelangte. Als ich am 1. März 1946 als erster Stadtbaumeister nach dem Krieg ernannt wurde, standen vor mir neben anderen großen Aufgaben, unter anderem die Restaurierungsarbeiten der verwahrlosten, historischen Humanistenstätte in der Allerheiligenstraße, die baupolizeilich schon längere Zeit gesperrt war.

In der über 850jährigen Geschichte des Grundstücks war es Kloster, Hospital, Patrizierhaus; in dieser Zeit dem Universitätsprofessor Dr. med. Sturz gehörig, dem Mäzen der Humanisten, bis es im Jahre 1763 einer großen industriellen Tabakfabrik gehörte, die die Bauten bis zum Verfall benutzte. 1937 erwarb die Stadt die Engelsburg, um sie in Erinnerung an die Blütezeit des Humanismus in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wieder herzustellen. Danach war es der Deutschen Demokratischen Republik in ihrer 35-jährigen Geschichte beschieden, das Grundstück der von ihr gegründeten Mezinischen Akademie und deren Studenten zu übergeben, die neues Leben in die alten Mauern brachten.

Nach dem zweiten Weltkrieg wußte niemand, auch der Museumsdirektor Dr. Kuntze nicht, mit der baufälligen Humanistenstätte etwas anzufangen. Meine Initiative zur Restaurierung entsprach dem Gedanken, daß ein solches einmaliges, in der DDR vorhandenes historisches Denkmal für den mittelalterlichen Humanismus nicht untergehen darf, erhalten bleiben muß. Auf meine Veranlassung begann die Wiederherstellun in den 50er Jahren. Nicht mehr erhaltungsmögliche Bauteile kamen zum Abbruch, erhaltungswürdige Bauteile wurden unter meiner Leitung als damaliger Denkmalpfleger restauriert. Das Baugeschäft Schreiber stellte hierzu die Arbeitskräfte, die zu den speziellen Arbeiten von mir angeleitet wurden.
Die hauptsächlichsten Schadensstellen bestanden an den freigelegten Holzteilen, besonders im Bohlenbau, dem sogenannten Humanistenerker - Sitzungszimmer der Humanisten - durch Trockenfäule. Der fehlende Abschluß der Bohlenstube, ein bauliches Kleinod, wurde aus einem Nachbarhaus ausgebaut und im schönen Stil der Renaissance restauriert und neu eingebaut. Der Außenputz wurde abgehackt, dabei kamen als Holzfachwerk im Obergeschoß die sogenannte Thüringer Leiter und andere Figuren, im Erdgeschoß frühgotisches Türgewände als Durchgang zur Allerheiligenkirche zum Vorschein. Diese Türöffnung trägt nun eine Steintafel der Erinnerung mit den Namen der wichtigsten Humanisten, die hier ein- und ausgingen. Der Restaurator R. Hollbach restaurierte vorbildlich mit viel Mühe die Kassettendecke im Erkerraum.

Möge die studentische Jugend stets wissen, in welchen traditionsreichen Räumen sie sich befindet, dem den Musen geweihten Hochsitz der Humanisten, in dem die epochemachenden "Dunkelmänner-Briefe" geistig entstanden.

Reinhold Prauser

Heute steht die Erfurter Humanistenstätte "Zur Engelsburg" seit fast 20 Jahren der Medizinischen Akademie zur Verfügung. Vom Juli 1965 an verbrachten die Studenten der Akademie viele Freizeitstunden in ihren Mauern. In den ersten drei Jahren nach der Übernahme der Gebäude wurden durch sie fast 7000 Stunden Um- und Ausbauarbeiten geleistet. 1968 konnte dann der FDJ-Studentenklub eröffnet werden. Heute stehen ein Bierkeller, die Weinstube, die Bar, der Tanzkeller, die Kaffeestube, ein Vortragsraum und das Bohlenstübchen den jungen Leuten zur Verfügung. Gern genutzt wird die traditionsreiche Stätte auch von den Wissenschaftlern der Akademie und ihren Gästen aus dem In- und Ausland.

Die Geschichte der Humanistenstätte "Zur Engelsburg" reicht bis in das 12. Jahrhundert zurück Das erste selbständige Hospital in Erfurt wurde um 1500 zu einer Stätte der vorwärtsdrängenden geistigen Auseinandersetzung. Fortschrittliche Männer wie Ulrich von Hutten, Helius Erobanus Hessus oder Conrad Mutianus trafen sich dort und setzten sich für die Freiheit der Wirtschaft und eine weltanschaulich-religiöse Neuorientierung ein.
Wegen Baufälligkeit mußte später das Haus, in dem 1537 auch Martin Luther für zwei Tage übernachtete, abgerissen werden. Gegenüber dem Eingang zur Turniergasse weist eine Tafel auf die ehemalige Engelsburg hin. Erhalten blieben nur ihr Nebengebäude, das "Schwarze Roß" und das angrenzende Haus "Zum roten Hirsch". Nach dem Umbau durch die Studenten werden die Räumlichkeiten nunmehr als Studentenklub genutzt.

(Thüringische Landeszeitung, 09.06.1984)